2006

Operation Gerechtigkeit

Bernd Raffelhüschen war Mitglied der Rürup-Kommission. Seine Vorschläge zur Sicherung der Renten sind umgesetzt. Aber die Arbeit an unserer Zukunft geht weiter.

PHILIP MORRIS STIFTUNG: Guten Tag, Herr Raffelhüschen. Wie geht es Ihnen?
BERND RAFFELHÜSCHEN: Bestens. Stress, viel Arbeit.

PMS: Hat das vielleicht mit der aktuellen Diskussion um die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre zu tun?
RAFFELHÜSCHEN: Klar. Wir hatten das ja damals als Rürup-Kommission so vorgeschlagen. Das kocht jetzt wieder hoch und ist das letzte i-Tüpfelchen, um die Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern.

PMS: Wieso „letztes i-Tüpfelchen“? Sind denn die anderen Vorschläge bereits alle umgesetzt?
RAFFELHÜSCHEN: Sogar eins zu eins. Vor zwei Jahren wurde der Nachhaltigkeitsfaktor mit dem Nachhaltigkeitsgesetz umgesetzt und resultierte in einer der größten Rentenkürzungen seit Bestehen des Systems. Ein weiterer Einschnitt wurde jetzt gemacht. Dann kommt noch der Nachholfaktor, wonach auch die Rentner Nullrunden einlegen, wenn das die Arbeitnehmer tun. Damit ist die Rente im Grunde sicher, aber geringer als die meisten glauben.

PMS: Haben Sie diese Kürzungen nachgerechnet?
RAFFELHÜSCHEN: Das haben wir schon vor zwei Jahren gemacht. Der Nachhaltigkeitsfaktor bedeutet eine Kürzung um mehr als 10 Prozent, mit der 67er Rente kommen noch mal 7,5 Prozent drauf. Die Durchschnittsrente wird 2040 zirka 20 Prozent niedriger liegen als heute. Das Bruttorentenniveau beträgt 40 Prozent des Durchschnittslohns. Die Menschen haben begriffen, dass Lebensstandardsicherung ohne individuelle Aktivität nicht zu machen ist.

PMS: Woran arbeiten Sie aktuell?
RAFFELHÜSCHEN: Im Prinzip arbeiten wir immer noch mithilfe der Generationenbilanzen an Nachhaltigkeitsanalysen verschiedener langfristiger Politikreformen. Gerade rutschen wir ein wenig in die Analyse von Steuergesetzgebung rein, aber das Gros der Mitarbeiter beschäftigt sich noch immer mit Generationenbilanzen.

PMS: Reformbedarf ist universell. Gibt es europäische Staaten, die bei Ihnen anfragen?
RAFFELHÜSCHEN: Letztens haben wir eine langfristige Nachhaltigkeitsanalyse an die Schweiz abgeliefert. Gerade sind wir stark in die Analysen auf Länderebene eingestiegen, so dass wir nun wissen, wie die einzelnen Bundesländer dastehen.

PMS: Wo drückt dort der Schuh?
RAFFELHÜSCHEN: Die Pensionslasten sind gewaltig.

PMS: Wer steht am schlechtesten da?
RAFFELHÜSCHEN: Insgesamt die alten Bundesländer, denn da gab es eine Einstellungswelle, die den öffentlichen Dienst quasi verdoppelte. Diese Menschen sind nun älter, reifer und das macht sie sehr teuer. Wir haben bei den Beamten eine deutlich schärfere Finanzierungsnotals in der gesetzlichen Rentenversicherung. Und diese Not wird 2020 vollends zugeschlagen haben. Das Problem der Beamtenversorgung ist noch gemeiner und es kommt sogar noch schneller auf uns zu.

PMS: Ein Lichtblick ist, dass so der Osten aufholt.
RAFFELHÜSCHEN: Insgesamt werden die Haushalte im Osten nachhaltiger finanziert sein. Aber dann wird der Westen mit dem Osten darüber reden wollen, ob die Zuschüsse noch fließen.

PMS: Wie steht Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit im Europavergleich da?
RAFFELHÜSCHEN: Im Vergleich stehen wir besser da als unsere Nachbarn. Das einzige was uns bei der Rente Sorgen macht, ist die Kurzfrist. Uns fallen die Erwerbstätigen weg und wir haben derzeit keinerlei Reserven, um die konjunkturellen Aufs und Abs auszugleichen. Die Schwankungreserve – das Tafelsilber der deutschen Rentenversicherung – hat die Minister Blüm, Riester und Schmidt nicht überlebt. Das kostet, wenn man keinen Puffer mehr hat. Den brauchen wir aber. Sonst sind wir konjunkturell abhängig mit unseren Rentenzahlungen.

PMS: Ist denn dafür eine Puffer-Kommission in Planung?
RAFFELHÜSCHEN: Nein, es geht nur darum, mal wieder ein/zwei Monatsausgaben als Reserve aufzubauen.

PMS: Wie bitte? Ein/zwei Monatsausgaben?
RAFFELHÜSCHEN: Momentan haben wir einen Puffer von unter 14 Tagen. Dieses Loch wird regelmäßig mit Buchungstricks ausgeglichen, wie neulich, als der Arbeitgeberbeitrag 14 Tage früher abgebucht wurde.

PMS: Herr Raffelhüschen, mir bricht der Schweiß aus. Lassen Sie uns schnell wieder an die Arbeit gehen. Wer soll das sonst bezahlen?
RAFFELHÜSCHEN: Gut, gehen wir wieder an die Arbeit. Genug zu tun gibt es ja.

Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen war seinerzeit Mitglied der Rürup-Kommission und wurde 2004 mit dem Forschungspreis der Philip Morris Stiftung für seine als „Generationenbilanz“ bekannt gewordenen Nachhaltigkeitsanalysen ausgezeichnet, die zur Reform unserer Rentensysteme beitrugen.