Am 4. Oktober 2005 veränderte ein Anruf aus Stockholm sein Leben. Physik-Nobelpreisträger Theodor W. Hänsch über Autogrammjäger, rasende Reporter und sein Dinner mit der schwedischen Königin.
PHILIP MORRIS STIFTUNG: Herr Hänsch, haben Sie gesehen? Sie stehen heute auf Seite eins der „Bild“-Zeitung.
THEODOR W. HÄNSCH: Ach wirklich?
PMS: Ja, als „Gewinner des Tages“. Es geht darum, dass Sie auch über das 68. Lebensjahr hinaus an der Münchner Universität forschen dürfen. „Bild meint: praktizierter Bürokratie-Abbau.“ Lesen Sie die Artikel, die über Sie geschrieben werden?
HÄNSCH: Nicht alle. Die enorme Resonanz hat mich überrascht. Sie hängt aber sicher auch damit zusammen, dass es so lange keinen Nobelpreis mehr für Arbeiten gab, die hier in Deutschland entstanden sind. Ich glaube, die Menschen sind es inzwischen müde, immer nur pessimistisch zu sein. Sie möchten auch ein bisschen in Aufbruchstimmung versetzt werden.
PMS: Lassen Sie uns doch über das sprechen, was Sie am 4. Oktober 2005 erlebt haben. Sie saßen in Ihrem Büro an der Ludwig-Maximilians-Universität …
HÄNSCH: Ich wusste, dass an diesem Tag um 11.45 Uhr die Physik-Nobelpreisträger bekannt gegeben werden sollten. Weil ich neugierig war, hatte ich mich auf der Homepage der Nobel-Stiftung eingeloggt.
PMS: Eine Vorahnung?
HÄNSCH: Ach, nicht unbedingt. Wenn man Physiker ist, möchte man natürlich wissen, wer den Preis gewinnt. Es war also 11.45 Uhr, und auf dem Schirm erschien noch nichts, dann war es 11.50 und das Telefon läutete im Vorzimmer. Meine Sekretärin sagte, da sei irgendein Anruf aus Stockholm, ob sie durchstellen solle.
PMS: Wer war denn dran?
HÄNSCH: Am Apparat war Gunnar Öquist, der Generalsekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Er sagte, dass sich mein Leben in wenigen Minuten ändern würde.
PMS: Das hat er wirklich gesagt?
HÄNSCH: Ja, auf englisch und mit einem schwedischen Akzent: „Your life will change in a few minutes.“ Er erklärte feierlich, ich sei einer der drei Preisträger. Seine Stimme war so ernst, dass ich sofort wusste, dass er kein Student sein kann, der mir einen Streich spielen will.
PMS: Was passierte dann?
HÄNSCH: Dann hatte ich nicht einmal mehr die Zeit, auf den Bildschirm zu schauen, um zu erfahren, wofür es den Preis überhaupt gab. Das Telefon klingelte sofort Sturm: Eine Interview-Anfrage nach der anderen. Sehr schnell waren die Reporter mit ihren Blitzlichtern und Fernsehkameras da. Ich hätte nie gedacht, dass das so schnell geht. Die arbeiten offensichtlich so ähnlich wie die Feuerwehr und sind in ständiger Alarmbereitschaft. Der Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft und der Rektor der LMU waren auch herbeigeeilt, es gab eine improvisierte Pressekonferenz. Das Problem war, dass ich nur wenig Zeit hatte, weil ich zum Flughafen musste.
PMS: Wieso denn zum Flughafen?
HÄNSCH: Ich hatte lange zuvor eine Reise nach San Francisco gebucht. In Berkeley gab es ein Symposium zum 90. Geburtstag von Charlie Townes, dem Vater der Laserforschung. An der Tagung nahmen insgesamt 18 Nobelpreisträger teil, einige davon waren seine Schüler. Das Licht des Lasers hat vielen zum Nobelpreis verholfen.
PMS: Haben Sie nicht gezögert, die Reise anzutreten?
HÄNSCH: Nein. Letzten Endes war ich heilfroh, dass ich entkommen konnte.
PMS: Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, dass es in Ihrem 15-Quadratmeter-Büro so voll war, dass man daran zweifeln konnte, ob Sie es jemals wieder lebend verlassen würden.
HÄNSCH: Ich konnte kaum zur Besinnung kommen. Erst als ich am Flughafen die Sicherheitskontrolle passierte, bin ich die Fernsehkameras losgeworden. Die sind sogar im Taxi mitgefahren.
PMS: Was dachten Sie, als Sie im Flugzeug saßen?
HÄNSCH: Ich war ganz froh, wieder anonym zu sein. Inzwischen ist es so, dass ich fast jeden Tag von wildfremden Menschen angesprochen werde, die mir gratulieren oder ein Autogramm haben wollen. Erst gestern habe ich ein Autogramm auf einem U-Bahn-Fahrschein gegeben, weil sonst nichts zu schreiben da war.
PMS: Also hatte Herr Öquist Recht: Ihr Leben hat sich seitdem verändert.
HÄNSCH: Ich hoffe, dass die Turbulenzen, die der Preis mit sich gebracht hat, nun so langsam wieder abklingen. Ich schätze es, durch die Straßen zu gehen, ohne dass einen alle anstarren.
PMS: Haben sie Fanpost bekommen?
HÄNSCH: Unbeantwortete Stapel. Einiges habe ich gelesen, aber nicht alles. Ich habe zwei Sekretärinnen, die sich um solche Sachen kümmern. Es waren auch kuriose Sachen dabei, Leute, die mit mir ins Kino gehen wollten.
PMS: Gab es Reaktionen, über die Sie sich besonders gefreut haben?
HÄNSCH: Ich habe mich darüber gefreut, dass mir viele Kollegen so herzlich und ohne Neid gratuliert haben.
PMS: Ganz ehrlich: Haben Sie mit dem Preis gerechnet?
HÄNSCH: Nun, ich war ein paar Mal nah am Geschehen. Zum ersten Mal 1981, da gab es einen Nobelpreis für Laserspektroskopie, der an Arthur Schawlow ging, einen Kollegen von der Stanford-Universität. Da wurde die Spektroskopie am Wasserstoff prominent zitiert, an der ich maßgeblich beteiligt war. Damals dachte ich, aha, meine Arbeiten haben also ein preiswürdiges Kaliber. 1997 wurde ein Nobelpreis für das Laserkühlen verliehen, das war auch ziemlich nah an meiner Arbeit. Die ursprüngliche Idee hatten Herr Schawlow und ich bereits in den 70er Jahren entwickelt und publiziert. Aber eigentlich habe ich nicht gedacht, dass ich den Preis noch bekommen würde.
PMS: Die Urkunde hat man Ihnen etwa zwei Monate später übergeben, am 10. Dezember.
HÄNSCH: Ja, am Todestag von Alfred Nobel.
PMS: Wie war das?
HÄNSCH: Es war eine grandiose Feier. Die eigentliche Preisverleihung fi ndet in der Stockholmer Konzerthalle statt. Anschließend gibt es ein Bankett in der großen Stadthalle. Das ist das wichtigste gesellschaftliche Ereignis in Schweden: Etwa 1300 Gäste, alle in Frack und Abendkleid. Viele Leute sind scharf drauf, Einladungen zu ergattern, und die Warteliste ist sehr lang.
PMS: Haben Sie sich für den Anlass neu eingekleidet?
HÄNSCH: Den Frack habe ich mir ausgeliehen.
PMS: Wo haben Sie gesessen?
HÄNSCH: Die Physiker stehen im Testament von Alfred Nobel ganz oben. Deshalb sitzen sie nahe bei den Königlichen Hoheiten. Beim Bankett saß zu meiner Rechten Prinzessin Christina, die jüngste Schwester des Königs, und zu meiner Linken die Kronprinzessin Victoria. Am nächsten Tag gab es noch ein Bankett in etwas kleinerem Rahmen im Königsschloss. Da war Prinzessin Madeleine meine Tischdame und zur Linken saß die Königin. Sie hat sich gefreut, mal wieder deutsch reden zu können und mir ihre Familiengeschichte erzählt.
PMS: Worüber haben Sie sich sonst unterhalten?
HÄNSCH: Zu den Gesprächsthemen gehörte das Leben am Königshof – wie es da vor sich geht und welche Sorgen man auch hat. Prinzessin Madeleine berichtete von ihrem Studentenleben in Stockholm und von der Yellow Press, die immerfort Falschmeldungen über sie verbreitet. Insgesamt war es sehr unterhaltsam.
PMS: Klingt nach einem entspannten Abend – trotz aller Formalitäten, die so ein offi zieller Anlass mit sich bringt.
HÄNSCH: Die ganze königliche Familie hat sich sehr große Mühe gegeben, nicht einschüchternd zu wirken. Ein wenig nervös war ich trotzdem. Man muss ja „Eure Majestät“ und „Eure Königliche Hoheit“ sagen und sich genau ans Protokoll halten. Es ist gar nicht so leicht, das durchzuhalten, wenn man es nicht gewohnt ist.
PMS: In Ihrer Freizeit drehen Sie Videofi lme. Waren Sie versucht, Ihre Kamera mitzubringen?
HÄNSCH: Es hätte mich schon gereizt, aber wenn man den Nobelpreis bekommt, kann man da schlecht mit der Videokamera herumlaufen.
PMS: Was fangen Sie mit dem Preisgeld an?
HÄNSCH: Das weiß ich noch nicht genau. Es ist ja nicht die Riesensumme, die mein Leben komplett verändert. Es ist eher wie eine kleine Erbschaft, mit der ich mir etwas leisten kann, was ich mir sonst nicht leisten könnte.
PMS: Fällt es schwer, nach so einem glanzvollen Moment wieder in den Alltag einzusteigen?
HÄNSCH: Nach der Preisverleihung war die Prozedur ja längst nicht zu Ende. Für die Preisträger bedeutete das eine intensive Woche: Unser Terminkalender war 25 Seiten lang: Empfänge, Pressekonferenzen, Interviews. Hier in München ging der Ausnahmezustand weiter, und er ist noch längst nicht zu Ende. Heute Abend werde ich zum Ehrenbürger von Garching ernannt, gestern saß ich im Schloss Nymphenburg bei einem Empfang des Herzogs von Bayern neben Kardinal Wetter und habe mir aus der Perspektive eines Insiders die Papstwahl erklären lassen.
PMS: Ein Grund mehr, nur noch auf Empfänge zu gehen…
HÄNSCH: Es ist natürlich eine Verlockung. Und es ist ja auch interessant, mit Menschen zu reden, mit denen ich sonst nie in Berührung gekommen wäre. Da sieht man die Welt mit anderen Augen. Für eine Weile kann man das genießen, aber es besteht die Gefahr, dass man sich wegspülen lässt und nicht mehr zur eigentlichen Arbeit zurückfi ndet. Durch den ganzen Rummel habe ich zu schätzen gelernt, wie kostbar die Zeit ist, in der ich tun kann, was ich will.
PMS: Woran arbeiten Sie gerade? Im Berliner „Tagesspiegel“ war zu lesen, dass Sie Einstein widerlegen wollen.
HÄNSCH: Einsteins Relativitätstheorie macht Aussagen über den Zusammenhang von Raum und Zeit. Wir sind mit unseren Frequenzkämmen jetzt die Weltmeister im Zeitmessen. Wir haben ein Uhrwerk erfunden, mit dem man Uhren bauen kann (die gibt es zwar noch nicht, aber sie sind am Horizont), mit denen man die Zeit auf 10-18 genau messen kann: tausendmal genauer, als die besten Atomuhren heute. Mit so einer präzisen Messung kann man Einsteins Aussagen über die Zeit natürlich noch besser prüfen als bisher. Einsteins Theorie ist elegant, aber sie hat das Problem, dass sie nicht mit der Quantenphysik vereinbar ist, die ja auch wichtig und richtig ist. Man bemüht sich im Augenblick also zu verstehen, wie beides zusammenhängen könnte. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vielleicht hat Einstein nur eine Annäherung gefunden. Experimentell kommt man nur weiter, wenn man genau hinschaut und nach Abweichungen sucht. Von daher könnte es sein, dass diese sehr genauen Uhren uns in dem Grundverständnis weiterbringen, wie die Welt funktioniert.
PMS: Sie haben Ihr Labor an der LMU als Spiellabor bezeichnet. Wie kindisch muss man als Physiker sein?
HÄNSCH: Ich glaube, die Spielfreude spielt bei einem Experimentalphysiker eine zentrale Rolle. Sie verleiht der Arbeit einen Spaß, den sie sonst vielleicht nicht hätte. Die Dinge, mit denen wir arbeiten, die Laser, das farbige Licht, die ganzen optischen Erscheinungen, die sind ja auch ästhetisch schön. Als Kind ist man neugierig, aber wenn man erwachsen wird, vergräbt man die Neugier und kümmert sich weniger um solche grundsätzlichen Dinge. Als Forscher muss man sich diese kindliche Neugier bewahren. Das ist wichtig. Eine Antwort zu fi nden auf eine Frage und etwas zu erkennen: Das kann eine Quelle sehr großer Freude sein. Wenn man abstumpft und dafür nicht mehr empfänglich ist, hat man viel aufgegeben.
Heiko Zwirner
PROF. DR. THEODOR W. HÄNSCH, 64, ist Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er teilt sich den Physik-Nobelpreis 2005 mit den US-Forschern John Hall und Roy Glauber. Prämiert wurden seine Beiträge zur Entwicklung der laserbasierten Präzisionsspektroskopie. Der Durchbruch gelang Hänsch mit dem Frequenzkammgenerator, mit dem man die Schwingungen von sichtbarem Licht zählen kann. Durch die Spiegelung eines Laserbündels erzeugt der Generator Lichtimpulse, die nur wenige Femtosekunden (ein Milliardstel einer Mikrosekunde) lang sind. Damit ist unter anderem die technische Voraussetzung für Uhren geschaffen, die tausendmal genauer messen als Cäsium-Atomuhren. Zweimal, 1998 und 2000, wurde Theodor W. Hänsch für seine Arbeiten mit dem Forschungspreis der Philip Morris Stiftung ausgezeichnet.